Mittwoch, 23. September 2009

Amoklauf bei Amazon und ein brechendes Mammut

Um mich an meine politischen Aktivitäten zu erinnern, muss ich ziemlich viel grübeln. Und werde ich nach tagelangem Graben in abgelegenen Hirnwindungen fündig, stoße ich auf eine Erinnerung, die so panne ist, dass ich mich genau in diesem Moment ganzkörperig vermumme, um nicht erkannt zu werden:




Meine Vermummung, meine politische Botschaft. Diese ist so entpolitisiert, dass sie sich nicht über den Inhalt der Wörter, sondern über deren Farbe erschließt.


In der 10. Klasse trug sich in meiner Schule eine massive Ungerechtigkeit zu: Ein zwanghafter Erdkundelehrer kettete diskriminativ die Fahrräder aller Schüler zusammen, die diese an der falschen Stelle abstellten. Reuig mussten die Unterdrückten dann zu diesem sadistischen Lehrkörper anschleichen und auf Knien Besserung schwören. Eine politische Genossin und mich erzürnte das zutiefst! Tote Robbenbabys und Nazidemos? Uns völlig egal! Aber das mit Fahrrädern, das nervte und ließ unser politisches Bewusstsein zart knospen. In vielen konspirativen Treffen heckten wir einen genial-perfiden Plan aus: Wir wollten heimlich Flugblätter verteilen, um auf die Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen! Nach Schulschluss ließen wir beschämt ein paar Zettel auf den Schultoiletten fallen, die den Missstand satirisch behandelten. Voller Spannung erwarteten wir den nächsten Tag – um dann beim morgendlichen Toilettengang festzustellen, dass die Putzkraft mit dem repressiven Schulregime kollaborierte und alle politischen Botschaften entfernt hatte!


Der politischen Genossin und mir war dieses Scheitern so unangenehm, dass wir ruckzuck wieder aus dem Untergrund auftauchten und uns auf der Stelle und total entpolitisierten. (Wir waren aber auch höchstens mit so Plastikschnorcheln, nicht mit richtigen Luftflaschen abgetaucht, führten auch während der Flyeraction ein bürgerliches Leben, waren unbewaffnet und sahen auch so aus - unterm Strich neigte sich unsere politische Harmlosigkeit gefährlich Richtung Langeweile)

Noch heute nagt dieses schamvolle Kapitel meiner kurzen, aber gut durchwachsenen Biographie beharrlich an meiner Psyche. Und zwar so beharrlich, dass ich mich auch heute maximal zu einem lahmen Protest gegen die Überwachung des Kapitals aufraffen kann. So lege ich bei Amazon amokmäßig ganz gerne CDs von Schlagerbarde Patrick Lindner in meinen Warenkorb. Weil ich ansonsten eine dem geisteswissenschaftlichen Studentenmilieu angemessene musikalische Vorliebe für schmissige Indie-kracher pflege, wird Amazon ganz konfus und empfiehlt mir nicht dieses eine Interpol-Album, das ich entweder eh schon habe oder mir immer mal kaufen wollte, sondern Patricks Perlen „Träum` dich ins Paradies“ und „Fang` dir die Sonne“ (nein, dies muss ich gar nicht. Die Sonne scheint schon in mir drin, s. unten). Diese deutschen Schlagerplatten kaufe ich dann aber nicht (oder vielleicht doch? In mir schlummern nicht nur irre Ideen für bekloppte Flyeractions, sondern noch viel tiefere Abgründe. Vielleicht seht Ihr mich ja mal beim Fest der Volksmusik vermummt durchs Bild schunkeln). Als Sahnebonbon verwirre ich durch solch launige Kamikazeaktionen nicht nur Amazon, sondern verdränge auch ein bisschen meine charakterliche Vorhersehbarkeit.

(Habe Absatz gerade noch mal überlesen. Fühle mich armselig. Lege zweite Vermummungsschicht an. Das tut gut. )


Unabhängig von meiner persönlichen politischen Karriere, die – wie ich vermummt aber selbstreflektiert erkennen muss - steil aber sicher nach unten führt: In Deutschland wählt man ja wohl in naher Zukunft. In Norwegen wurde – oh schicksalhafte Fügung - letzte Woche der Ministerpräsident gewählt und die staatlichen Alkoholgeschäfte hatten alle geschlossen, damit auch ja kein angesoffener Norweger beim Kreuzchenmachen in der Zeile verrutschte und so seine rationale Entscheidung gefährdete. Um es ganz kurz zu machen: Der Wahlkampf drehte sich für deutsche Ohren um Pipapo (dieses Wort ist so hübsch wie ein Mammut, aber genauso wie dieses heutzutage so gut wie ausgestorben! Bitte benutzt es einmal am Tag in einem zwischenmenschlichem Gespräch – im Dialog mit euch selbst gilt leider nicht, denn dann wird es nicht in die Welt hinausgetragen und dies bezwecke ich mit diesem Appell!): Konkret ging es nämlich um die dekadente Frage, was der Staat nur mit den vielen Öl- und Gasmilliarden machen sollte. Die Wahl gewann der attraktive Jens Stoltenberg von der Arbeiterpartiet.


Jens, wie er lebt und leibt.


Kurz vor der norwegischen Wahl sprach ich mit einer mir bekannten Norwegerin und diese sprach auch, nämlich folgendes: „Ich vertraue Jens Stoltenberg.“ Ich glaube, dass neben Jens` Potenzial als Model für die Herrenlinie von H&M zahlreiche Ölmilliarden helfen, ein solch bejahendes politisches Vertrauen zu formen. In der Bundesrepublik sieht kein Politiker aus wie frisch vom Laufsteg gefallen und Ölmilliarden wachsen auch nicht gerade auf deutschen Eichen. Vielleicht presst man als Deutscher ja deshalb pessimistisch schon vor einer Wahl ganz mäkelig möglichst viele Konsonanten aneinander und sagt: „Njmgzftftf!“ Und dann sagt man vielleicht noch: „EIGENTLICH, GANZ EIGENTLICH mag ich ja keinen von den beiden. Aber die, die eine Frisur hat oder der mit der Brille und den Augen, die hinter Bergen von Bürokratie immer sagen, ich will eigentlich gar nicht, der oder die ist eben das KLEINERE DER BEIDEN ÜBEL.“

Allerlei solche grundpessimistischen Gedanken könnt Ihr gerne haben, an mir aber perlen sie momentan einfach mal glatt ab, denn das Phänomen ist doch folgendes: Ist man erstmal aus Deutschland raus, interessieren einen die Gegebenheiten dort gar nicht mehr. Kaum hat man die Grenze passiert, vergisst man auch schon, wie die mit der Frisur überhaupt heißt. Konkret illustriert am Fallbeispiel: Statt auf spiegel online guckt Evi heute aus einem norwegischen Fenster und sieht dort keine bürokratischen Augen, sondern wilde Berge. Sie erklimmt keine neuen Höhen politischen Allgemeinwissens, sondern einen von denen und atmet ganz tief ein. Ob die Sonne auf die Bundesrepublik scheint, ist Evi egal, denn die Sonne scheint auf Evi, während diese in einen eiskalten Gebirgssee springt und selig auf einem skandinavischen Knäckebrot herumknuspert. (Die Sonne scheint hier, ganz ehrlich gesagt, in den letzten Wochen gar nicht. Aber die Metapher ist schön und Evi trotzt ja auch wacker jedem Regenwetter mit einer kleinen inneren Sonne in ihrem Herzen.).

In Deutschland könnte ein sadistischer Lehrkörper in einer bundesweiten Aktion alle deutschen Fahrräder aneinanderketten oder Amazon alle Patrick-Lindner-Perlen radikal reduzieren – mich würde das nicht kratzen. Und würde in Deutschland eine Eiszeit ausbrechen (und damit brächen dann auch Pipapo und die Mammuts wieder aus! Ich würde mir dann bei meiner Rückkehr eines zähmen und besitzen! Also ein Pipapo, Mammuts stinken nämlich) - ich stände neben einem norwegischen Rentier und ließe mir quickfidel die innere Sonne auf den Bauch scheinen. Und diese Sonne wäre dann so hell, dass sich durch meine zahlreichen Vermummungsschichten ein wunderschöner Sonnenstrahl wie ein Lichtblick an einem düsteren Horizont ergießen würde (Und dieser schmonzettige Satz ist ein glasklarer Hinweis. Worauf? Vielleicht darauf, dass mir Amazon die Patrick-Lindner- CDs ein bisschen zu schmackhaft gemacht hat!?)




Ganz vielleicht habe ich ja sogar aus Versehen an einer bundesrepublikanischen Briefwahl teilgenommen und mich zwischen Frisur und Brille entschieden. Kann aber sein, dass ich eine erfolgreiche Bergbesteigung mit soviel Sprit aus dem staatlichen Alkoholgeschäft feiern musste, dass mein Kreuzchen dabei ein bisschen verrutschte.


Wie protestiert Ihr gegen Amazon? Wenn ALLE Norweger betrunken beim Kreuzchenmachen verrutschen würden – wäre die Wahl dann nicht auch irgendwie repräsentativ? Sind mit der Eiszeit in Deutschland jetzt eigentlich die Mammuts wieder ausgebrochen (also aus den Käfigen)?


Und nicht vergessen: Wenn die Tristesse wieder mal nicht nur zurückhaltend aus weiter Entfernung winkt, sondern Körperkontakt sucht und per Handschlag freundlich grüßt: Einfach mal mit Karacho durch eine Regenpfütze fahren. Und schon scheint einem die innere Sonne wieder volle Kanne auf den Bauch.

Sonntag, 6. September 2009

Rock`n Roll für die Zunge und ein Snoop Dogg Millionaire

Manche Sachen funktionieren im Kopf nicht miteinander. Zum Beispiel kann ich mir nicht vorstellen, dass sich Lakritz (Rock`n Roll für die Zunge!) und Schokolade (pelziger Romantikschlager für den Gaumen!) kulinarisch verstehen. Wirft so ein Süßwarenproduzent beides zusammen, kommt nichts Gutes heraus.



...und dann auch noch Zuaten aus ökologischem Anbau! Stil geht anders.



Weil in Norwegen selbst Naturgesetze wie Schwerkraft oder Lichtgeschwindigkeit außer Kraft gesetzt sind (nein, sind sie nicht – aber wie interessant wäre das!), verwundert es auch nicht weiter, dass sich in Tromsö dauernd Eriegnisse zutragen, die mit der Wirklichkeit noch weniger vereinbar sind als jede Lakritz-Schokoladen-Fusion.


Am vergangenen Wochenende fand hier nämlich das Dögnvill-Musikfestival statt. Dieses machte sich lineupmäßig ziemlich frei von lästigen Genregrenzen (und auch manch betrunkener Besucher machte sich frei; habe noch nie so viele behaarte Rücken gesehen). Das Ticket für das Festival hätte ziemlich genau 100.000 Euro gekostet, aber weil Evi sich bei der hiesigen Studentenzeitung auf mangelhaftem Englisch engagiert, bekam sie nicht nur einen tollen Presseausweis , sondern mit dem auch umsonst rein.

Von Jung bis Alt war alles am Start, von Opa und Oma bis zu frisch geschlüpften Babys (die waren am betrunkensten und hatten ergo auch die behaartesten Rücken!). Und um allen Generationen musikalisch entgegenzukommen, waren die Festivalhighlights ohne Rücksicht auf gegenseitige Genreverletzungen ziemlich querbeetig ausgesucht worden. U.a. traf man an:


-Alexander Rybak: Beängstigender Schwiegermuttertraum, der in diesem Jahr für Norwegen den Eurovision-Songcontest gewonnen hat. Sieht aus wie aus einem Streichelzoo ausgebrochen. Geigte rotwangig durch die Gegend und machte Kapriolen wie eine Bergziege auf Speed. Wird von vielen Norwegern leidenschaftlich gehasst.



...können diese Augenbrauen lügen und was will der Backroundtänzer nur von Alexander?



-Mortrox/ Betablock: Gegenstück zu Alexander Rybak. Lokale Deathmetalband, Durchschnittsalter der Mitglieder: 15. Evi ging das Herz auf und über, als die knuffigen Wikinger headbangten! Sie war sehr angetan und würde eher dem wilden babyspeckigen Bassisten durchs lange Haar streichen als dem Streichelzooausbrecher Alexander Rybak.


Und dann kam am Abend natürlich noch der Headliner. Und der war das Beispiel für das Außerkraftsetzen der bereits erwähnten Kopflogik, weil nämlich Snoop Dogg in Tromsö auftrat! Für die älteren Leser: Das ist ungefähr so, also ob die Rolling Stones in einem deutschen 50 000 –Einwohner Kaff spielen würden. Und dieses Kaff hat dann einen Namen, der eindeutig impliziert, dass man hier (und jetzt Achtung: Es kommt ein Lieblingsausdruck) nicht tot überm Zaun hängen will. Also solche Städte wie Northeim, Kreiensen, Gustavsburg etc.


Die Absurdität gipfelte in dem Moment, als der selbsternannte Doggfather die Bühne betrat. Megagangster Snoop Dogg (mit Kifferaugen, so rot wie wilde Ameisen) kam also auf die Bühne geschlunzt mit so einem Bling-Bling Mikrofon, auf dem sein Name in riesigen Diamantenklunkern drauf stand. Und dann ging’s ziemlich ab und auch um was: Nämlich um bitches, die police und weed. Alle diese Themen wurden – möchte ich mit ganz viel Vorsicht sagen – von Snoop Dogg nicht so richtig aus einer reflektierten sozialkritischen Perspektive behandelt: Die police war motherfucking, weed war smooth, bitches waren beautiful.

Naturgemäß sollte das politisch hochkorrekte Norwegen deshalb mit dem fleischgewordenen Gangstaklischee ordentlich fremdeln. Wie ich in einer langweiligen Kultureinführung für Austauschstudenten gelernt habe, wohnt hier auch König Harald gerne mal in einer Hütte ohne fließend Wasser. Der arme Harald hat auch kein diamantenes Mikrofon oder ein ähnliches Zepter mit seinem Namen drauf. Der kauft sich vielleicht alle zehn Jahre mal ein neues Leinenhemd und wird dafür dann wochenlang von der norwegischen Boulevardpresse wegen seines ausschweifenden Lebensstils niedergemacht.


...was unterscheidet Harald nur von einem Snoop Dogg Millionaire?



Auch ist „motherfucking“ nicht unbedingt das erste Wort, das ich mit der norwegischen Polizei assoziieren würde: Bei einer außer Kontrolle geratener Austauschstudentenfeier mahnte ein Polizist zurückhaltend und verschwand wieder als wäre nix gewesen. Weedkonsum ist in Norwegen auch nicht so smooth oder anderweitig angesagt:„Drogen gehen gar nicht“ hätten die norwegischen Festivalbesucher vermutlich aus vollem Hals geschrien, wäre dieser nicht gerade von zwanzig Litern Wodka okkupiert gewesen.

Weil aber Snoop Dogg schon mal da war und alle Norweger ziemlich höflich betrunken waren – und vielleicht auch ein bisschen weil Snoop Doggs Mikrofon aller gleichmacherischer Bescheidenheit zum Trotz so schön blinkerte – machten die Norweger den Rapperzirkus doch ein bisschen mit und riefen leise „bitches“, manchmal auch verhalten „police“ . Nur das „motherfucking“ wurde eher so genuschelt verschluckt.

Und Snoop Dogg rappte über sein hartes Gangstaleben an der West Coast, während sich über der Masse schunkelnder Norweger (richtig tanzen können Norweger nicht, das ist so ein Nordeuropäer-Phänomen) ein wunderschön friedlicher Sternenhimmel auftat und man sich zwischen den schneebedeckten Bergspitzen wie auf einer Panoramapostkarte (die man nur für Oma kaufen würde, weil ziemlich kitschig) fühlte. Und während ein paar betrunkene Drittklässler fröhlich unter die Füße der schunkelnden Stampede kugelten, stand Evi stocknüchtern inmitten des angenehm absurden Spektakels und lächelte zufrieden in sich hinein.


Ich möchte zum Schluss noch etwas empfehlen und zwar die norwegische Band „Katzenjammer“, die beim Dögnvill Festival auftrat. Ich empfehle explizit die Lieder „Demon Kitty Rag“ und „A Bar in Amsterdam“. Wer keinen abgefahrenen Gipsy-Folk-Pop-Indie-Blues-Clash und keine selbstbewusste Frauen mag, der darf sich das aber nicht anhören. Wer keinen abgefahreren Gipsy-Folk-Pop-Indie-Blues-Clash und keine selbstbewusste Frauen mag, der soll aufhören, meinen Blog zu lesen und sich schleichen!


Seid ihr auch manchmal nicht mit der Wirklichkeit vereinbar - wenn ja, wann? Welche Süßigkeit ist für euch ein kulinarischer KIK-Markt? Sollte man abwegige Gedanken pflegen oder zähmen?

Mittwoch, 2. September 2009

Norwegische Impressionen

Toilette für einbeinige Frauen:


Yeti:



Rassistische Kaffeefilter:



Follower